...
Das isolierte Ich leidet endlos, "weil das Leben Schmerz ist und die genossene Liebe ein Anästhetikum." *
"Die Liebe ist die billigste der Religionen." *
Wir streben heute nach dem Leben des Körpers und weisen die asketischen Traditionen des Judentums und des Christentums zurück; aber wir sind nach wie vor befangen in der Erlebnisweise, die diese religiöse Tradition uns hinterlassen hat. Deshalb klagen wir; wir resignieren und sind gleichgültig; wir klagen.
Wenn die alten Hebräer und Griechen und die Orientalen der Liebe nicht den gleichen Wert beimessen wie wir, so deshalb, weil bei ihnen das Leiden nicht den gleichen positiven Wert hat. Für sie war nicht Leiden das Kennzeichen der Ernsthaftigkeit.
Seit zweitausend Jahren gilt bei Christen und Juden das Leiden als das Zeichen geistiger Modernität. Daher ist es nicht die Liebe, die wir überbewerten: wir überschätzen das Leiden, genauer gesagt, den Wert und den Nutzen des Leidens.
Der Beitrag der Moderne zu dieser christlichen Vorstellung besteht in der Entdeckung, daß die Schaffung von Kunstwerken und das Wagnis der sexuellen Liebe die beiden reinsten Quellen des Leidens sind. Das ist es, was wir im Schriftstellertagebuch suchen, und das ist es denn auch, was Paveses Tagebücher in beunruhigender Fülle bieten.
(Susan Sontag, Kunst und Antikunst/ Der Künstler als exemplarischer Leidender [1962])
(* Cesare Pavese: Das Handwerk des Lebens. Tagebuch 1935-1950.)
"Die Liebe ist die billigste der Religionen." *
Wir streben heute nach dem Leben des Körpers und weisen die asketischen Traditionen des Judentums und des Christentums zurück; aber wir sind nach wie vor befangen in der Erlebnisweise, die diese religiöse Tradition uns hinterlassen hat. Deshalb klagen wir; wir resignieren und sind gleichgültig; wir klagen.
Wenn die alten Hebräer und Griechen und die Orientalen der Liebe nicht den gleichen Wert beimessen wie wir, so deshalb, weil bei ihnen das Leiden nicht den gleichen positiven Wert hat. Für sie war nicht Leiden das Kennzeichen der Ernsthaftigkeit.
Seit zweitausend Jahren gilt bei Christen und Juden das Leiden als das Zeichen geistiger Modernität. Daher ist es nicht die Liebe, die wir überbewerten: wir überschätzen das Leiden, genauer gesagt, den Wert und den Nutzen des Leidens.
Der Beitrag der Moderne zu dieser christlichen Vorstellung besteht in der Entdeckung, daß die Schaffung von Kunstwerken und das Wagnis der sexuellen Liebe die beiden reinsten Quellen des Leidens sind. Das ist es, was wir im Schriftstellertagebuch suchen, und das ist es denn auch, was Paveses Tagebücher in beunruhigender Fülle bieten.
(Susan Sontag, Kunst und Antikunst/ Der Künstler als exemplarischer Leidender [1962])
(* Cesare Pavese: Das Handwerk des Lebens. Tagebuch 1935-1950.)
M_F - 2009-08-09 21:44
Versucht man modernem Leidfixierten zu sagen,
dass er päpstlicher als der Papst,
weil in eingefleischter Märtyrertradition lebt,
verwandelt es sich in leidverteidigenden Nero,
der nach Kreuzen und Löwen ruft.